Über meine Kunst
Von Werner Marx, Kunsthistoriker
Monia Krüchten hat bei ihren Bildern eine Grundkonzeption, lässt sich dann während des langwierigen Arbeitsvorgangs von den jeweiligen Zuständen und Zwischenergebnissen leiten, so dass schließlich das Ergebnis für sie ein nicht vorhersehbares Aussehen besitzt. Dabei bilden ihre informellen Gemälde kein Zentrum, sondern drängen zum Rand und beziehen mehr und mehr weiße, unbearbeitete Flächen der Leinwand mit ein. Gestaltung und Leere, primärfarbene amorphe Formen, eine vollkommene stoffliche Präsenz der verkettenden Tönungen vollziehen ausladende Bewegungen und rhythmische Gliederungen. Die Farbe scheint mit wenigen kräftigen Setzungen als kalligraphische Spur die immensen Flächen zu durcheilen als insularer Fleck, tropfend und Rinnsale bildend. Unter den gewaltigen Farb- und Helligkeitsakkorden, die Tiefe ohne illusionistische Räumlichkeit spüren lassen, zeigt sich beim Herankommen die zerklüftete Leinwand mit den vielfältigen Spuren ihrer Bearbeitung. Dabei findet das Auge keinen ruhenden Punkt. Die Dynamik des Malens vollzieht sich in der Dynamik des Sehens nach. Zonen dichter Farbigkeit wechseln mit solchen strahlender Leere, Flächen mit Rinnsalen, Dunkles mit Hellem, Farbnebel mit Farbmassivem. Die Bilder scheinen veränderlich, im Werden begriffen, Momentaufnahmen einer unablässigen Bewegung. Gemalt wird auf dem Fußboden, die Mischung der Farben findet während des Malaktes statt. Es schwingt und strudelt, alles ist im Fluss. Dynamik und Turbulenzen beherrschen das Bildgeviert. Schlangen, Schlaufen, pastose Kurvaturen bewegen sich in einem „All-Over“ über die Leinwand. Schriftzeilen tanzen, Schleuderspuren kreuzen ihre Bahn, Linien verlieren sich im Unendlichen. Monia Krüchten geizt nie mit dekorativen Effekten, ohne dabei vordergründig zu werden. Das Prachtvolle farbigen Zusammenwirkens legt eine Dynamik der Bewegung und des Raumes offen und macht die unterschiedlichsten Energien der koloristischen Ereignisse bewusst. Motorische Gestik, Tiefenraum und farbige Sinnlichkeit verschmelzen in ihrer Malerei zu einer energetischen Einheit.
Auszüge der Rede zur Ausstellungseröffnung am 06. Juli 2003 Kleinkunstbühne Cafe Art Walldorf Von Werner Marx
„…Das Verfahren der Bildbeobachtung, der mikroskopische Blick auf die stoffliche Beschaffenheit des Gemäldes, ist … zu einem verbreiteten Bedürfnis der Kunstbetrachtung geworden.“ „…Monia Krüchten ist trainierte Tachistin und aus ihrem Faible für die lyrische Abstraktion, für die „art informell“ hat sie nie einen Hehl gemacht. Keine Frage, auch Frau Krüchten lenkt das Auge des Betrachters auf den Umgang mit dem Farbmaterial, doch fehlt der hedonistische Kitzel einer Farbautonomie, auf die die oft so selbstgefälligen Befreiungsgesten des tachistischen Flügels abzielen. Die hier ausgestellten Arbeiten erscheinen von so großer Vielschichtigkeit, als ob sie ganz unterschiedliche Emotionen binden wollten und doch dem Rationalen Platz geben, als ob sie sich naturhaft ereignen und doch von größtem Kalkül durchzogen sind. Man meint, dass die Alchimie der Farben durch Instinkt und Wissen beherrscht wird, dass Erfahrung und Experiment sich ständig begleiten: Sicherheit aus Spontaneität und Reflexion. Was zunächst in einem Arbeitsgang an optischem Bestand dargeboten wird – ob amorphe Flecken, Farbspritzer, Sudelschlieren oder Rinnsale – ist nicht syntaktisch geordnet, ist „noch nicht Form“ und bietet die Möglichkeit und Offenheit zur Strukturierung. In Anlehnung an Gantners Begriff der Präfiguration könnte man an diesem Punkt des Arbeitsprozesses von einer „prämorphen“ Malerei sprechen, die gekennzeichnet ist durch eine deutlich sichtbare Pinselführung, welche gepaart mit starker Farbigkeit ein Erleben von Unmittelbarkeit erzeugt. Es ist ein steter Wechsel zwischen Aufbau und Zerstörung, d.h.: Formen werden langsam entwickelt, entstehen durch Addition, Kombination, durch automatisches Wachstum, um im nächsten Augenblick fragmentiert zu werden. Die Bildeinheiten kontrastieren hinsichtlich Farbklang und Farbauftrag, Größe und Struktur der Formen. Richtung und Duktus der Spuren verweigern somit eine Einheitsbildung im Sinne traditioneller Komposition. Wir haben uns daran gewöhnt, Bildern bestimmte Botschaften abzuverlangen, so als sei das Bild selbst gar nicht vorhanden und diene lediglich dazu, uns die gewünschte Mitteilung zu machen. Von den Künstlern selbst sind solche Vorstellungen sehr früh hinterfragt, ja abgelehnt worden. Seit Generationen gibt das berühmte Wort von Maurice Denis das Credo der formbewussten modernen Kunst ab: „Man erinnere sich, dass ein Bild – bevor es ein Schlachtross, ein Akt oder irgendeine Anekdote ist – wesentlich eine plane, von Farben in einer bestimmten Anordnung bedeckte Oberfläche ist.“ In diesem Sinne ist Malerei nicht das Medium, sondern wesentlicher Inhalt der Kunst Monia Krüchtens. Sie glaubt an sie, und das heißt soviel wie: Sie glaubt daran, dass der Geist auch in der Farbe lebendig ist. Das Informelle bleibt kein technischer Trick und keine Desperadogeste wie manchmal im amerikanischen „Action Painting“. Vielmehr handelt es sich auch auf einer Ebene um einen kontemplativen Vorgang, bei dem, so sieht es aus, die Malerin dem Bild, sozusagen als einem Gegenüber einräumt. Für diese Art Malerei ist die Farbigkeit bzw. die Nichtfarbigkeit von entscheidender Bedeutung, da sie eng mit der Dominanz des Materials verbunden ist. Man vertraut auf die natürliche Färbung der Substanzen und spricht sich dagegen aus, die Leinwand mit kunstvollkünstlichem Farbstoff zu bedecken, das heißt: Die Farbe imitiert nicht! Die Substanz an sich interessiert. Dabei hat Monia Krüchten eine subtile Variationsbreite entwickelt, die sich zwischen großer räumlicher und äußerst komprimierter Flächenstruktur der Farbe bewegt. Durch den Vorgang des Malens entstehen Diagramme der inneren Gespanntheit, entstehen Psychogramme der Existenzbestätigung, ja sogar der Existenzbewältigung. Dabei verliert eine rein bildhafte Darstellung ihre vordergründige Narrativität. Die Expression arbeitet dann mit Metaphern und Symbolen, die dem Betrachter die schöne Möglichkeit bietet, auf der Oberfläche herumzuspazieren. Das unterschiedliche Spektrum der Sujets wird geeint 1. durch eine deutlich sichtbare Pinselführung, die gepaart mit starker Farbigkeit ein Erlebenvon Unmittelbarkeit erzeugt 2. durch einen fragmentarisch-offenen, nervösen Strich, der die Farbflächen beschädigt oder kurz vor dem Verschwinden hält. Gemeinsam ist, dass der Betrachter Spontaneität erfährt, die sich weniger auf die gemalten Objekte als auf ihre Wahrnehmung bezieht. Aus der „Innenaufnahme“ wird eine „Außenaufnahme“. Monia Krüchten formuliert so ein weites Spektrum inhaltlicher und zeichnerisch-malerischer Möglichkeiten. Vereinheitlichende Etiketten treffen nicht. Zwar steht im Zentrum eine „Expression“, doch werden von diesem Punkt aus die unterschiedlichsten Richtungen eingeschlagen. Der Rückzug auf das rein Malerische bietet die Chance statt eines neuen Stils, eine Vielzahl von Haltungen zu entwickeln. So können die Präzision des Bildaufbaus und die flächige Farbbehandlung eine Statuarik und Monumentalität erzeugen. Andere Farbflächen wirken wie flüchtige Chiffren, geschult an einem gegenständlichen und abstrakten Expressionismus gleichermaßen. Die Leinwand ist ein bis an den Rand gefülltes und bewegtes Bildgefüge. Es betont die Flächigkeit und autonome Räumlichkeit des Bildes und nimmt in seiner überflutenden Fülle zugleich Bildprinzipien des Actionpainting auf. Von vornherein wird die klassische Problematik von Figur und Grund dadurch gelöst, dass Linie, Fläche und Farbe – egal ob gegenständlich oder ungegenständlich eingesetzt – völlig gleichwertig nach ihren bildnerischen Gesetzlichkeiten gehandhabt werden. Den Unterschied zwischen Abstraktion und Realistik gibt es von Anfang nicht. …“